Erweiterungen von Angebot und Sortiment in Form von Marktplätzen oder Lieferanten-Plattformen haben Hochkonjunktur. Amazon meldete erst jüngst einen Rekordumsatz von 2,8 Mrd. für den Amazon Marketplace – große Online-Shops wie Otto, Lidl oder Real haben schon längst ihre früheren Streckengeschäfte in das E-Commerce-Zeitalter überführt und sogenannte Partner-Plattformen aufgebaut. Deren Unterschied zum offenen Marktplatz sind meist: Lieferanten stehen nicht im Preiswettbewerb und sind für den Endkunden unsichtbar – Customer Service und Rechnungsstellung managt also die Plattform selbst.

Die Kombination aus traditionellem Einkauf und einem angedockten Partner-Sortiment ist allerdings keine Idee der Online-Branche. Schließlich können erfolgreiche Retailer im stationären Bereich längst auf etablierte Konzepte zur effektiven Flächenbewirtschaftung zurückblicken. Dabei wird auf angeschlossene Hersteller und Marken mehr Verantwortung übertragen. Für die Auswahl des Sortiments in der eigenen „Brand Area“, den Bestand und die Preisstellung ist oft nicht mehr der Retailer selbst, sondern der Partner verantwortlich. Das erhöht dessen Motivation und entlastet den Retailer, nicht nur im Bereich der Abwertungsrisiken. Somit hat sich das klassische Einkaufsprinzip, das Risiken und Verantwortung vorwiegend beim Händler vorsah, bereits heute weiterentwickelt.

1511_Trendbuch_V9_KLEIN

Wholesale war gestern – Hybrid-Modellen gehört die Zukunft

Der durch den modernen E-Commerce beförderte digitale Wandel bringt dieses Erfolgsmodell nun auch in den Online-Handel. Moderne Hersteller verfügen schon längst über eine Infrastruktur, die es ihnen erlaubt Artikeldaten, Content, Bestände und Preise an den Retail-Kunden zu liefern und die Bestellung sogar direkt an den Endkunden zu schicken. Damit kann ein Anbieter über viele Vertriebskanäle präsent sein und zentral auf einen Lagerort zugreifen, was Bestandsrisiken deutlich reduziert. Zudem hat er die volle Preiskontrolle und kann gegenüber dem Endkunden sein gesamtes Sortiment präsentieren – selektive Einkaufsprozesse gehören der Vergangenheit an und das klassische Wholesale-Modell wird nach und nach ergänzt oder gar ersetzt.

Auch aus Sicht des Retailers schafft eine Plattform komplett neue Möglichkeiten. Zum einen kann er bereits errichtete Artikel mit mehr Bestand auffüllen. Zum anderen kann er eine deutlich größere Produkt- und Markenvielfalt darstellen (Longtail), als es über den traditionellen Einkauf möglich wäre und daraus auch Rückschlüsse für seine eigene Einkaufsstrategie ziehen. Der produktive Wettbewerb zwischen Einkauf und Plattform hat bei manchen Retailern bereits zu einer stillen Revolution des eigenen Einkaufsverhaltens geführt und damit ungeahnte Synergien freigesetzt.

Um trotz Fremdsortiment eine einheitliche Customer Experience zu gewährleisten, werden die Lieferanten-Vereinbarungen oft um sogenannte SLA-Anlagen ergänzt, in denen die Grundsätze – beispielsweise Lieferzeiten oder Reaktionszeiten auf Kundenanfragen – festgehalten werden. Über spezielle Tools werden diese SLA-Vorgaben kontrolliert und regelmäßig besprochen. Dem Endkunden ist oft gar nicht bewusst, dass Angebot und Lieferung von extern stammen – was bleibt, ist eine positive Einkaufserfahrung.

Mehr Angebot bedeutet letztlich mehr Conversion und höhere Warenkorb-Werte, die Absprungrate wird minimiert. Angebote für Cross-Sellings erreichen eine neue Dimension und vernachlässigte Kategorien werden plötzlich durch marktnahe Experten (nämlich die Lieferanten) befüllt.

Natürlich gelingt auch dieser Zusatzumsatz nicht ohne Zusatzaufwand. Im Vergleich zu den klassischen Ressourcen für Einkauf, Produktmanagement, Lagerhaltung sowie den Warenrisiken und Kapitalbindungen ist der Aufwand für eine Lieferanten-Plattform jedoch mehr als überschaubar. Der Hybrid aus Einkauf und Plattform ist somit eine klassische Win-Win-Situation, bei der Hersteller, Anbieter und Retailer gleichermaßen profitieren. Ein „Win“ kommt sogar obendrauf: auch der Endkunde ist voller Freude. Über einen Anbieter, einen Warenkorb und einen Zahlungsprozess.